Ein Text von Karin Bruns (ehem. Soltani)

Die Teddymacherinnen von Sarajevo

Wie Bärennähen helfen kann, Traumata zu überwinden

(BärReport 4-2010)

Wer einen Teddy näht, legt viel von sich selbst in den Bären. Man lässt etwas Neues entstehen, gibt sich Mühe, hat Freude daran. Die meisten Bärenmacher empfinden genau das als das  Schöne an ihrem Hobby. Für Frauen, die die Schrecken des Bürgerkrieges in Bosnien-Herzegowina am eigenen Leib erleben mussten und die heute in Sarajewo im Rahmen des Hilfsprojektes „Zurück ins Leben“ Friedensbären nähen, ist es eine Herausforderung.

 

Fast hat man angesichts der vielen Katastrophen und Kriege auf der Welt vergessen, dass es auch in Bosnien-Herzegowina von 1992 bis 1995 einen Krieg gab. Zigtausenden von Mädchen und Frauen wurde damals als Strategie zur sogenannten ethnischen Säuberung Gewalt an Leib und Seele angetan. Sie leiden heute noch an den traumatischen Erfahrungen, die sie bei KZ-Aufenthalten, in Privathaft und bei Vergewaltigungen machen mussten. Um weiterleben zu können, haben viele Frauen ihr Gefühlsleben komplett ausgeblendet. Wo Gefühl im Spiel ist, kommen mit guten Gefühlen immer auch schlechte Gefühle, verursacht von Misshandlung, Folter und Erniedrigung hoch. Ein Teufelskreis, denn fast jede Arbeit, jedes Tun und somit auch jeder Broterwerb besteht aus Wissen – und Fühlen. So haben diese Frauen kaum eine Chance auf dem Arbeitsmarkt und können sich und ihre Familie, zumal ihre Männer häufig entweder im Krieg gestorben sind oder nicht arbeitsfähig sind, nicht versorgen. Dabei geht es vor allem darum zu überleben, genug zu essen zu haben, eine Kochgelegenheit, genug Holz zum Heizen, was in Sarajevo extrem teuer ist. Vielen Familien fehlt es an allem, sie benötigen warme Kleidung, Betten und Schulsachen für die Kinder.

 

Seit fünf Jahren Friedensbären

 

Das Ergotherapie-Projekt Friedensbär hat sich im Rahmen der Arbeit des Augsburger Vereins Unterstützung Osteuropa e.V. zur Aufgabe gemacht, solchen Frauen langfristig auf ihrem Weg zurück ins Leben zu helfen. Seit fünf Jahren gibt es die aus Geldspenden finanzierte und mit Sachspenden wie Nähmaschinen, Zubehör, Plüsch, Latexflocken, Glasaugen ausgestattete Nähschule in Sarajevo. Geleitet wird sie von der Schneidermeisterin Senada, die mit ihren beiden Kindern selbst einen KZ-Aufenthalt hinter sich hat.

 

Bis heute haben 60 junge Mädchen und Frauen bis zum Alter von 70 Jahren hier, in den Räumen einer jahrhundertealten Karawanserei in der Altstadt von Sarajevo, gelernt, wie man Teddybären näht. Eva-Maria Kuß, Sprecherin von Unterstützung Osteuropa e.V., erklärt: „Das bedeutet zum einen eine wirtschaftliche Unterstützung für die Frauen, denn der Verein kauft ihnen die Friedensbären ab und organisiert Spenden-Patenschaften. Zum anderen erfüllt sich in der Nähschule der Therapiezweck: Die Frauen werden behutsam wieder ans Fühlen herangeführt.“

 

Gemeinschaft ohne Zwang

 

Zu Fühlen gibt es viel: Den Teddystoff, die Latexflocken des Füllmaterials zum Beispiel. Es gilt, Schnittmuster aufzuzeichnen und die Schnittteile auszuschneiden. Und die Nähmaschine zu bedienen, dazu gehört am meisten Gefühl. Manche Frauen zeichnen monatelang nur Schnittmuster auf, bis sie sich trauen, den Stoff zuzuschneiden. Eva-Maria Kuß: „Wichtig ist, dass dies alles völlig ohne Zwang geschieht. Die Frauen treffen sich meist vier Mal pro Woche, aber sie können kommen und gehen, wann sie wollen. Auch wenn sie nur reden möchten, ist das völlig in Ordnung. Man muss den Frauen einfach alle Freiheiten lassen. Jede weiß: Ich bin in einer Gemeinschaft, wo man mich versteht und mir weiter hilft, und ich darf so sein wie ich gerade bin. Wir achten auch darauf, dass die Frauen untereinander gut miteinander umgehen und sich zum Beispiel nicht maßregeln.“

 

Schneidermeisterin Senada erzählt von ihrer eigenen Entwicklung als Leiterin der Bären-Nähschule: „Ich habe mich mit großer Freude, aber auch gleichzeitig Angst wegen meiner gesundheitlichen Probleme den Projekten Friedensbär und Nähschule angeschlossen. Ich hatte Angst, dem Vertrauen und den Anforderungen meiner Position als Lehrerin in der Nähschule nicht gerecht werden zu können.“ Heute ist Senada glücklich, dass sie nicht nur ihre Selbstachtung wieder erlangt hat, sondern auch den Teilnehmerinnen wieder Freude am Leben vermitteln kann.

 

Senada: „Außer den Bären nähen wir auch andere Sachen für uns und unsere Familien. Und meine zwei Kinder und ich haben den Computerkurs belegt und dadurch Erfolgsgefühle erlebt. Nach dem, was wir erlitten haben, dachten wir, nie wieder solche Gefühle haben zu können.“

 

Sich wieder als Frau fühlen

 

Eva-Maria Kuß hält ständig Kontakt zur Nähschule. Sie hat bei ihren Besuchen mit vielen Frauen gesprochen: „Nach nur einem Jahr Nähschule haben uns die Frauen der Gruppe gesagt: Wir fühlen uns wieder gesund. Wir fühlen uns wieder als Frau. Wir nehmen keine Medikamente mehr.“ 

Zwei Beispiele aus dem Nähschulenalltag zeigen, wie unterschiedlich die Teilnehmerinnen an die Arbeit herangehen. Eine Frau füllte die Bärenteile mit Latexflocken, hatte aber ihre Gefühle so weit verdrängt, dass sie kein Gespür dafür hatte, wann es genug war. Schließlich weinte sie, weil sie sich zu nichts nutze fühlte. Die Lösung bestand in einer Backwaage. Darauf wurden die fertigen Teddyköpfe, Arme und Beine gewogen. Es wurde genau aufgeschrieben, wie viel Gramm jedes fertige Teil wog. Daran konnte sich die Frau orientieren.

 

Eine andere Frau ging immer mit viel Gefühl und Hingabe ans Bärennähen heran. Behutsam strich sie über den Teddyplüsch, schnitt ihn aus, stickte den Bären mit sehr viel Detailgenauigkeit das Gesicht. Liebevoll nähte sie ihren Bären dann noch Kleidchen. Immer wenn sie einen Teddy fertig hatte, wiegte sie ihn wie ein Kind im Arm, ging eine Zeitlang durch die Räume, mit Tränen in den Augen. Dann sagte sie irgendwann: „Auf Wiedersehen, mein Liebling“ und legte ihn behutsam zu den anderen fertigen Teddys. Die Geschichte dieser Frau zeigt, was sich abspielte: Sie war 1995 mit ihrer Familie in die Schutzzone von Srebrenica geflohen. Eines Nachts kamen die Serben, nahmen ihren Mann und ihren zehnjährigen Sohn mit und erschossen sie ein paar Kilometer weiter. Sie konnte sich nie von ihnen verabschieden. So holte sie beim Bärenmachen jedes Mal ihren Abschied von ihrem kleinen Jungen und ihrem Mann nach.

 

Wieder Vertrauen fassen

 

Den Stellenwert des Nähkurses beschreibt Eva-Maria Kuß so: „Die Frauen haben ein sehr intensive Gruppe gebildet: Nachdem sie im Lauf des gemeinsamen Tuns Vertrauen zueinander gefasst hatten, begannen sie, miteinander über persönliche Themen, über Ihr Schicksal zu sprechen. Alles zusammen – der Ort, die kreative Tätigkeit und das Sprechen – gibt den Frauen schon Kraft. Das ist von besonderem Wert, zumal sich anderweitig in Bosnien so gut wie gar nicht um das Thema Traumatherapie gekümmert wird.“

 

Aktuell zieht die Nähschule in größere Räume um. Der Verein hat in Sarajevo ein ganzes Haus gemietet, wo die Nähschulenleiterin Senada mit ihrer Familie wohnt und im Erdgeschoss schöne großzügige Räumlichkeiten für die Schule genutzt werden. So können noch mehr Mädchen und Frauen am Projekt teilnehmen. „Auch an anderen Orten sollen Nähschulen entstehen, unter anderem in Bratunac in der Nähe von Srebrenica, denn die Nachfrage ebbt nicht ab, sondern wird immer stärker“, sagt Eva-Maria Kuß.


Wer einen Bären bestellen, eine Patenschaft abschließen, Informationen dazu haben oder andere Hilfe anbieten möchte, wendet sich an den

Förderverein für Humanitärprojekte

Stichwort: „Projekt Friedensbär“

Sterzinger Straße 3

D-86165 Augsburg

Tel. 0821/729 22 75

Das Büro ist montags bis freitags von 9-12 Uhr geöffnent. Jede Patin, jeder Pate bekommt als Dankeschön eine Bären-Handpuppe, handgefertigt von den Frauen in Sarajevo.

 

Spenden sind natürlich jederzeit herzlich willkommen:

Förderverein für Humanitärprojekte

Konto-Nr. 60 82 858

BLZ 720 900 00

Augusta Bank Augsburg