Ein Text von Karin Bruns (ehem. Soltani)

Kalender Ladies – nackig für den guten Zweck

(Herten Erleben 2005)

Die Idee war verlockend, ein bisschen verrucht und zu faszinierend um sie wieder fallenzulassen: Einmal im Leben ausziehen für den guten Zweck, wie die englischen „Kalender Girls“ im Kinofilm. Frech, mutig und sehr sexy ist das Ergebnis, das seit Oktober in den Hertener Buchhandlungen steht: Der Kalender mit Schwarz-Weiß-Fotografien rückt 13 splitterfasernackte Frauen zwischen 46 und 66 Jahren an den schönsten Orten Hertens in Szene.

 

Schon mal registriert, wie viele alleinstehende Männer sonntags morgens um 7 vor dem Zukunftszentrum einen Parkplatz suchen? Einfach mal nackend auf ein Taxi legen und sich dabei fotografieren lassen. Wahlweise könnte frau auch Radfahrer dazu bringen, auf dem Radweg vor den Wassertürmen mit verrenktem Hals in den Graben zu semmeln – indem sie mit nichts weiter als Turnschuhen bekleidet Rennrad fährt. Zwei Tage Blasenentzündung sind auch drin – wie nach dem Shooting an der Dampfmaschine auf Ewald. „Alte Frau stand nackt im Durchzug“ kommentiert Elke Marita Stuckel-Lotz ihren Fototermin als Lady November. „Als ich morgens um 8 auf dem Weg zur Zeche war, habe ich alle beneidet, die schon dran waren – ich hab mich gefühlt, als wäre ich auf dem Weg zum Schafott.“

 

Plötzlich hatte sie die Angst vor der eigenen Courage eingeholt. Sie, die das ganze Projekt von Anfang an vorangetrieben hatte. Als Initiatorin der Frauenfilmreihe war die Grünen-Politikerin auf die „Kalender Girls“ gestoßen: „Ich fand die Idee genial, sowas wollte ich auch machen, hier bei uns in Herten.“ Freundin Doris Wenglorz zog mit – „aus einer Laune heraus. Ich fand das erstmal nur amüsant.“ Aus der vermeintlichen Sicherheit heraus, dass sich sowieso nicht genügend Frauen für alle zwölf Kalenderblätter melden würden. Und dann der Fluchtinstinkt, als beim 2. Treffen 22 begeisterte Frauen öffentlich strippen wollten: „Bloß weg hier, jetzt bist du verratzt und verkauft, schoss mir durch den Kopf“, erinnert sich Doris Wenglorz. Aber der Zug rollte, einmal auf Schiene gesetzt. 13 Mutige blieben übrig, Birgit Cullmann und Carola Hoppe als Fotografinnen und Claudia Reiter als Visagistin kamen dazu, die Benefitzaktion war beschlossene Sache. Fifty fifty geht der Reinerlös des Kalenders an das Hertener Kinder- und Jugendhilfehaus Flex und an Karo, das Streetworker-Projekt in der Prostituions- und Drogenszene an der tschechischen Grenze.

 

„Wir haben uns mit den Mädels im Flex zum Kaffee getroffen“, erzählt Elke Marita Stuckel-Lotz. „Die haben für uns Pflaumenkuchen gebacken und finden es total toll, dass wir uns für sie ausgezogen haben.“ Von dem Kalendergeld soll u.a. eine neue Kücheneinrichtung und ein großer Tisch fürs Flex, das WG-Projekt für Mädchen in sozialen Schwierigkeiten, angeschafft werden. Alle Samariter-Leistung in Ehren, aber wie fühlt frau sich mit dem Wissen, dieses Jahr unter so manchen Christbaum zu liegen? „Ich glaube, dass sogar FKK-erprobten Frauen bei dem Gedanken die Düse geht, nächstes Jahr in Wohnzimmern und Werkstätten zu hängen“, sagt Doris Wenglorz. Und Elke Marita Stucke-Lotz ergänzt: „Die eigenen Makel an denen du im Spiegel immer geflissentlich vorbei schaust, werden einem schlagartig bewusst.“

 

Als das eigene Hadern und Zaudern einmal bewältigt war, meldeten sich die selbsternannten Wächter der Moral und des Anstands. Da wurden im Alten Dorf Westerholt früh morgens beim Shooting für Lady Juli neugierig die Gardinen zur Seite geschoben und Beschwerden landeten beim Pfarrer. Einige Frauen sprangen ab, weil sich Bedenkenträger wie Ehemänner, Kinder und Bosse zu Wort meldeten. Was jetzt bleibt, ist der pure Stolz, es gewagt zu haben. Und die Vorfreude darauf, mit den Flex-Frauen die neue Küche einzuweihen.